Re: Rassismus (mit Arpana Aischa Berndt)

Der Begriff weiß wird in diesem Text nicht als Beschreibung einer Hautfarbe verwendet, sondern als Bezeichnung einer privilegierten Position in einem rassistischen System. Er wird deshalb mit * gekennzeichnet. Der Text bildet einen Nachrichtenwechsel ab, der laufend aktualisiert wird. Diese ist die 1. Folge, die weiteren Folgen sind unten verlinkt.



Tobi,

zu Beginn unserer Beziehung habe ich dir erzählt, dass ich mich frage, was es eigentlich für uns und unser Zusammenleben bedeutet, dass du ein weißer* Mann bist und ich mich als Woman of Color bezeichne. Ich habe auch immer noch keine Antwort darauf gefunden und es gibt auch nicht die eine Antwort, aber es ist mir wichtig, dieser Frage nachzugehen. Denn Rassismus und Sexismus begegnen mir täglich, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie häufig das ist.

Ich möchte mich sicher fühlen, wenn ich dir dann davon erzähle. Deshalb brauche ich eine Vorstellung davon, was du darüber denkst. Vor allem am Anfang haben wir nicht konkret über unsere unterschiedlichen Positionen in diesen gesellschaftlichen Machtverhältnissen gesprochen. Jetzt reden wir über Privilegien, Intersektionalität und Macht, trotzdem fehlt mir deine Perspektive auf deinen und meinen Umgang mit Diskriminierung, um der Bedeutung unserer verschiedenen Rollen für unsere Beziehung nachgehen zu können. Kannst du mir deine Gedanken dazu schreiben?

In Liebe,
A. 


Arpi,

also, wie du schon schreibst: Darauf eine Antwort zu finden, wird sicher nicht klappen, aber ich mag die Idee, gemeinsam welche zu suchen. Ich finde es auch leichter, dir meine Gedanken dazu aufzuschreiben, da ich so meistens präziser bin und hoffentlich weniger ins weiße Stottern gerate. Gleichzeitig kommt es mir aber sehr umfangreich und schwer zu greifen vor, was wir miteinander besprechen wollen.

Die erste Situation, an die ich mich erinnern kann, in der dir während unserer Beziehung Rassismus zugestoßen ist, war dein Besuch bei der Frauenärztin im letzten Sommer.Vielleicht als Einstieg, und da wir das hier ja auch öffentlich schreiben: Magst du nochmal erzählen davon?

In Liebe,
T.


Tobi,

das war im Spätsommer, noch vor Venedig. Ich wartete in dem Sprechzimmer der Frauenärztin. Sie kam herein, stellte sich vor und dann kamen auch schon ihre Fragen: was ich mache, woher ich denn komme. Ich antwortete: „Aus dem  Wendland, nicht weit von Lüneburg.“ Als ob sie meine Antwort nicht gehört hätte, wiederholte sie ihre letzte Frage noch einmal. Ich erklärte ihr also schnell die Herkunft meiner Mutter und meines Vaters, Sri Lanka und Deutschland. Meistens bestehe ich auf meine erste Antwort. Aber in dieser Situation wollte ich einfach schnell zum Punkt kommen. Schließlich ging es mir hier nicht um meine Eltern, sondern um mich. Ich wollte auch nicht unhöflich sein. Ich habe schon erlebt, dass Menschen nicht mehr mit mir reden wollten, weil ich auf die Frage nach meiner Herkunft gar nicht reagiert oder auch nach mehrmaligem Nachfragen immer noch mit „Wendland“ geantwortet hatte. Manchmal sagte ich auch: Lüchow, Klein Breese, der Bauch meiner Mama.

Ein Besuch bei einer Ärztin ist jedoch etwas sehr intimes. Deshalb war es mir wichtig, dass die Situation entspannt blieb, immerhin sollte ich beim nächsten Termin halbnackt auf dem Untersuchungsstuhl liegen. Sie sprach dann viel von Indien und davon, dass ihre Töchter gerade dort seien, an einem Yogakurs teilnähmen. Für sie selbst wäre das nichts, aber ihre Töchter fühlten sich ganz wohl dort. Wie noch einmal die Sprache heiße, die sie dort sprechen, da in der Region? Ob ich die auch verstehe? Wie schön doch meine Hautfarbe sei, nicht so käsig bleich wie die der Deutschen. Ich solle unbedingt Vitamin D zu mir nehmen, da meine Haut eine viel stärkere Sonne gewöhnt sei. Ob ich vor kurzem in meiner Heimat gewesen sei? Das tropische Klima könne erklären, warum ich meine Menstruation nicht regelmäßig bekomme. Ich war so bedacht darauf, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, dass ich gar nicht merkte, wie meine eigene Laune kippte.

Erst zum Ende der Sitzung kam ich zu Wort. Als sie mich fragte, wann wir den nächsten Untersuchungstermin vereinbaren könnten, log ich, dass ich mich diesbezüglich melden würde. Mir war aber bereits klar geworden, dass ich nicht hierher wiederkommen wollte. Beim Hinausgehen erklärte sie mir noch, dass ihre Praxis offen für Kritik sei, da sie und ihr Team sich immer weiter entwickeln wollten.
Ich verließ ihre Praxis, ging die Einkaufsstraße entlang zu meinem Fahrrad und verstand noch immer nicht ganz, was da gerade passiert war. Ich war total aufgewühlt. Ich fuhr direkt zur Tonkuhle, erzählte Lea und Saskia von der Situation Sie waren entsetzt, bestätigten mir, dass die Ärztin sich unmöglich verhalten hatte. Dann aßen wir Äpfel, schwammen die Tonkuhle rauf und runter und legten uns wieder in die Sonne. Irgendwann kamst du dazu. Ich war immer noch aufgeregt und versuchte, dir alles zu erzählen. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl viele wichtige Dinge zu vergessen.

Du hast nachgehakt, mir ist noch mehr eingefallen und dann hast du mich gefragt: Was willst du tun? Wonach ist dir? Erst nach diesen beiden Fragen merkte ich, dass ich selbst etwas tun kann. Bis dahin war ich nur wütend gewesen, fühlte mich der Situation ausgeliefert. Es ging mir nur darum, dass ich im Recht bin. Deine Reaktion hat mich aus dieser Ohnmacht erweckt. Ich merkte, dass ich dazu beitragen kann, dass ich mich besser fühle.
Im Rückblick hat mich am meisten geärgert, dass ich so fokussiert darauf war, höflich zu bleiben. Das ist mein Höflichkeits-Modus, den ich anschalte, wenn ich mit Professor*innen oder Ärzt*innen rede oder Seminare leite. Höflichkeit ein, Schlagfertigkeit aus. Es ist absurd, dass ich mich am meisten über meine eigene Reaktion ärgere, obwohl es das Verhalten der Ärztin war, das eindeutig rassistisch war. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich Rassismus erlebe. Meine Reaktion auf solche Fragen hat sich jedoch im Laufe der Jahre verändert: Ich habe gelernt, schlagfertig zu antworten. Ich habe ebenfalls gelernt, dass ich unhöflich sein darf, dass ich nicht antworten muss, dass ich auf die Frage „Woher kommst du?“ Geschichten erfinden darf. Als ich klein war, habe ich zum Beispiel einem Kellner erzählt, dass ich eine Prinzessin aus Asien sei, das aber niemand wissen dürfe, weil es sonst zu viel Aufmerksamkeit in dem Restaurant errege.

Wir haben später nie wieder über den Vorfall gesprochen. Ich weiß, dass du mit Rassismus, der mir widerfährt, umgehen musst. Dein Verhalten in solchen Situationen ist für mich sehr wichtig, um mich mit dir wohl zu fühlen, und davon hängt auch ab, ob ich mir eine Zukunft mit dir vorstellen kann. Damals hatte unsere Beziehung gerade begonnen und wir hatten wenig Gelegenheit gehabt über unsere Gefühle und unser Verhalten bezüglich des Vorfalls zu sprechen.

Normalerweise ist es mir egal, wie die Gefühle Weißer* zu Rassismus sind. Bei fast jeder anderen Person, würde ich mit „Nein“ antworten, wenn sie mich fragt, ob ich mich und mein Verhalten in so einer Situation erklären könne, weil ich es nicht als meine Aufgabe betrachte, Weißen* Rassismus zu erklären. Doch weil ich dich liebe und du deshalb die erste Person bist, an die ich mich wende, wenn mir Rassismus begegnet und gleichzeitig, was Rassismus betrifft, auf der anderen Seite der gesellschaftlichen Machtverhältnisse bist, interessiert es mich, was du darüber denkst.

In Liebe,
A.


Arpi,

ich erinnere mich, dass ich dich auch gefragt habe, was du tun willst, da ich selbst nicht wusste, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Ich bin froh zu hören, dass dir meine Fragen so geholfen haben, aber ich war mir alles andere als sicher, wie ich auf dein Erlebnis angemessen reagieren sollte. Ich habe seitdem immer wieder darüber nachgedacht, wie und ob ich in solchen Situationen überhaupt für dich da sein kann.

Denn einerseits will ich an möglichst viel von dem, was dich umtreibt, teilhaben bzw. dich unterstützen, wo du es brauchst. Und andererseits stoße ich dabei an Grenzen, wenn es um Erfahrungen wie die in der Praxis geht. Für mich beschreibt eine solche Reduktion auf die Hautfarbe eine Erfahrung, wie ich sie nie gemacht habe und vermutlich auch nie machen werde. Ich lebe seit meiner Geburt mit der Illusion, dass Hautfarbe keine Rolle spielt und habe Rassismus dadurch immer nur als etwas Abstraktes erlebt. In der Beziehung zu dir bin ich viel stärker als vorher gezwungen meine Position zu reflektieren, mein Unbehagen einer Mehrheitsgesellschaft gegenüber mit der Einsicht zusammen zu bringen, dass ich in jedem Fall ein Teil dieser bin und meine bisherige kostenlose Haltung daraus neu zu formulieren. Wenn ich dich also gefragt habe, was DU tun willst, dann, weil ich das Gefühl hatte, dass es vor allem deine Erfahrung war und ich dir bei einer Reaktion helfen wollte, aber eben nicht wusste und nicht wissen konnte, was ich an deiner Stelle getan hätte.

Ich bin auch froh, dass dir meine Fragen geholfen haben, da ich mir im Nachhinein nicht einmal mehr sicher war, ob Aktionismus in deiner Situation angebracht war. Vielleicht habe ich dich gefragt, was du TUN willst, weil ich das Gefühl hatte, dass etwas getan werden müsste, aber auch weil ich aus meiner Position diese Frage unbedarft stellen konnte. Ich habe vorhin von Unbehagen gesprochen und das hat sicher auch hier mitgespielt. Denn für mich war die Situation nicht mehr als das und konnte nicht mehr sein: Etwas, das mich zwar aufwühlt, weil es dich aufwühlt. Aber nichts, was mich in diesem Sinn betrifft, weil es mich nicht betreffen kann. Etwas, das ich ungerecht nennen und auf das ich eine Reaktion fordern kann.

Aber ich komme zu dieser Ansicht von außen und das nicht einmal nur perspektivisch: Ich spaziere dazu an einem Sommertag, höre mir deine Erzählung an und gebe meinen erstbesten Impuls ab. Mag sein, dass dieser Reflex ein passender war, aber er kam aus der privilegierten Position desjenigen, der eine Reaktion für notwendig halten konnte, ohne sie selbst zeigen zu müssen. Wo wir übrigens bei Privilegien sind: Ich neige noch immer dazu, deine Hautfarbe zu übersehen und werde durch Erfahrungen wie die deine in der Praxis erst wieder daran erinnert.

Zuletzt ist, glaube ich, der wichtigste Punkt, welche Form du für dich findest, mit solchen Situationen in Zukunft umzugehen. Denn ich habe dich ja nicht gefragt, was du tun WILLST, sondern es einfach vorausgesetzt: DASS du etwas tun willst. Dabei kann man auch das als Anmaßung verstehen. Ich bewundere den Humor und den Sarkasmus, die du dir antrainiert hast und ich liebe dich dafür, aber für mich klingt es in Ordnung, sich in einer Situation wie dieser überrumpelt und ohnmächtig zu fühlen. Schon deshalb, weil es nicht dir und anderen Betroffenen allein auferlegt sein sollte, rassistischem Denken und Handeln zu widersprechen. Meine Gedanken, die ich dir hier beschrieben habe, sind sicher symptomatisch für einen aufgeschreckten Weißen* und sollen sich nicht in letztlich doch wieder bequemer Selbstkritik einrichten. Ich merke, dass ich viel nachzuholen habe und sich dabei durch unsere Beziehung bereits viel geändert hat. Nicht nur, weil ich näher dran bin an dir und deine Zukunft auch als meine betrachte; sondern, weil ich mich durch uns neu positionieren und entwerfen kann. Was natürlich ein Privileg ist.

In Liebe,
T.


Die Folgen dieser Serie:

  1. Re: Rassismus (diese Folge – 13.3.18)
  2. Re: Re: Rassismus (16.4.18)

to be continued


Zuerst veröffentlicht auf Pfeil und Bogen.

Bild: Arpana Aischa Berndt

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